Schilf (Phragmites australis) - eine Pflanze mit erstaunlichen Eigenschaften


 

Schilf (Phragmites australis) ist ein weit verbreitetes Rispengras (Poaceae) an Ufern und feuchten Standorten. Lediglich im hohen Norden oder in Bergregionen stößt die Pflanze aufgrund ihres höheren Wärmebedürfnisses an ihre natürliche Grenze. Schilf entwickelt sich im Jahresrhythmus sehr spät. Das Wachstum setzt erst im fortgeschrittenen Frühjahr ein, wenn die Temperaturen konstant über 8 ° – 10 °C steigen. Schilf gedeiht am besten in ca. 1 m Wassertiefe, wo sich das Rohrgras über röhrenförmige, weiße Ausläufer rasch verbreiten kann. Der maximale Zuwachs wird zur Blütezeit im Hoch- bis Spätsommer (Juli - September) erreicht. Die ausgedehntesten Schilfbestände in Europa befinden sich im rumänischen Donaudelta. Dort wächst auf ca. 1800 km² die größte zusammenhängende Schilffläche der Erde.

Die seltene Schilfrohr-Unterart Spragmites australis subsp. pseudodonax kann um die 10 Meter hoch werden. Unser „normales“ Schilf erreicht an guten Standorten zwischen 3 – 4 m. Die Produktivität von Schilfzonen an nährstoffreichen Standorten ist beachtlich, weil die Schilfpflanze im Herbst etwa 2/3 der Biomasse in die Rhizome verlagert und jedes Jahr zusätzliche Nährstoffe aufnimmt. In biologischen Schilfkläranlagen sorgen Bakterien im durchrieselten Rhizombereich dafür, dass die organischen Stoffe in den Abwässern in mineralische, unschädliche Endprodukte umgewandelt werden.

Weniger günstig ist, dass die Pflanze durch die Anreicherung von Schlamm zur Verlandung beiträgt. Durch die enorme Wuchskraft kann Schilf ausgedehnte, natürliche Monokulturen entwickeln, denn die Pflanze lässt kaum Nachbarn zu. In lückigeren Beständen kann man - wie übrigens auch am Karwer Parkufer - eine Vergesellschaftung insbesondere mit Rohrkolben (Typha latifolia) oder Teichsimse (Schoenoplectus lacustris) beobachten. Ein ökologischer „Schwachpunkt“ der Schilfpflanze ist die temperaturabhängige Vermehrung über Samen. Diese stehen bis zum Februar des nächsten Jahres am Halm bis sie vollständig ausgereift sind. Zum Keimen bedarf es einer freien Uferfläche, viel Sauerstoff und Temperaturen von 27 – 39 °C. Hat es aber ein Pflänzchen einmal „geschafft“, kann sich aus einem einzigen Individuum ein riesiger „Organismus“ aus genetisch identischen Pflanzen entwickeln, der schier unendlich weiterwächst. Es soll wissenschaftlich erwiesen sein, dass Schilfkulturen im Donaudelta seit 8000 Jahren ununterbrochen bestehen.

Durch die Versteifung der Halme durch eine holzartige Substanz (Lignin) ist Schilf knickbeständig und übersteht Wind und starke Wasserbewegungen besser als beispielsweise der Rohrkolben. Schilf eignet sich als Reet hervorragend zur Dachbedeckung oder zur Haftung für Lehmputz und soll als ökologischer Baustoff bereits in der Jungsteinzeit verwendet worden sein. Auch zur Zellstoffproduktion eignet sich regelmäßig gemähtes Schilf.

Dichte Schilfbestände sind ein Rückzugsparadies für Kleintiere und Vögel aller Art wie Dommeln, Enten, Rallen und andere Wasservögel. Die seltenen Teich- und Sumpfrohrsänger sind auf Schilfbestände als Brutgebiete angewiesen. Auch im hinteren Karwer Parkbereich, gegen Seehof zu, gibt es einen noch weitgehend ungestörten Schilfstreifen, wo man ab Mai vom Uferweg aus die quietschend-näselnde Dauerstrophe des seltenen Rohrsängers hören kann. Ein guter Grund, den Fortbestand der wenigen verbliebenen Schilfreste am Karwer Parkufer im Auge zu behalten.